Warum wir in der Raumplanung große Visionen brauchen

„Sie wünschen, wir spielen“. Diesem Motto ist die Raumplanung in Österreich viele Jahre gefolgt. Heute steht die Disziplin für diese Erfüllungspolitik vielfach in Kritik. Zersiedelung, anhaltender Bodenverbrauch, hässliche Gewerbeparks an den Ortsrändern und verödende Ortskerne. Die Liste an Negativschlagzeilen ist lang und die Diskussion darüber längst in der Mainstream-Presse angekommen[1].

Mit zunehmender Kritik wurde auch der Ruf nach Veränderungen lauter. Schlagwörter wie Mobilitätswende, Innenentwicklung, Baulandmobilisierung, Leerstandsmanagement, Förderung der Baukultur sowie Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimawandelanpassung sind nicht erst seit der Corona-Pandemie im Fokus der öffentlichen und teilweise auch der politischen Debatte. Im Nationalrat wurde im April 2020 ein Entschließungsantrag betreffend „Maßnahmen zum Schutz unserer wertvollen Böden“ eingebracht und eine neue „Bundesstrategie für Raumordnung und Flächenmanagement“ wird diskutiert[2].

Strategischer Planungsansatz

Gleichzeitig haben in den letzten Jahren mehrere Bundesländer ihre Raumplanungsgesetze dahingehend novelliert und die langfristig ausgerichtete Entwicklungsplanung gegenüber der klassischen Ordnungsplanung gestärkt. Im Burgenland ist beispielsweise seit Inkrafttreten des neuen Raumplanungsgesetzes 2019 jede Gemeinde verpflichtet, bis 2026 ein Entwicklungskonzept als Verordnung zu erlassen. Dabei wurde im Burgenland nicht nur auf formalrechtlicher, sondern auch auf inhaltlicher Ebene nachgezogen und die Anforderungen an ein Entwicklungskonzept um Aspekte in Bezug auf Mobilität, Sicherung eines nachhaltigen Umweltschutzes und interkommunale Kooperationsmöglichkeiten erweitert.

Angesichts der neuen Rahmenbedingungen und bestehenden Herausforderungen stehen wir heute an einem Wendepunkt in der Raumplanung; weg von der dirigistischen Ordnungsplanung hin zu einem offeneren, strategisch-orientierten Planungsansatz. Ziel dabei ist es, das Wichtige vom Dringlichen zu unterscheiden und die kurzfristigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ansprüche unserer schnelllebigen Zeit in eine langfristige Strategie einzubinden. Es gilt, den Blickwinkel zu weiten und noch mehr als schon bisher in der Raumplanung interdisziplinär zu denken und zu agieren.

Die Planungsprozesse, in denen heute diese strategisch ausgerichteten Entwicklungskonzepte erarbeitet werden, stellen dahingehend eine große Chance dar. In diesen Prozessen geht es darum, Ziele für eine Gemeinde oder für eine Region für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre festzuschreiben und in weiterer Folge auch die Weichen für deren Umsetzung zu stellen. Zudem sind Veränderungen anzustoßen und Antworten auf aktuelle und künftige Probleme zu finden.

Langfristiges Denken und Zusammenarbeit

Es geht um die bestmögliche Verzahnung von Zukunftsbildern und Strategie. Damit uns dies gelingt, braucht es große Visionen, die entsprechenden Planungs- und Steuerungsinstrumente und viele kleine Schritte in die richtige Richtung. Und es braucht Bilder, wie ein gutes Leben abseits vom gegenwärtigen, hohen Ressourcenverbauch und auf Kosten künftiger Generationen aussehen kann. Wir sind heute gut darin, sich die Zukunft pessimistisch vorzustellen und alle möglichen Untergangszenarien zu entwerfen. Das macht uns Angst und lässt uns an alten Rezepten festhalten, auch wenn sich die Bedingungen schon so weit verändert haben, dass diese (vielleicht einmal richtigen) Lösungen nicht mehr zutreffen.

Statt Besitzstandswahrer zu sein, ist es jetzt an der Zeit, sich mutig, offen und zuversichtlich auf den Weg zu machen und auf Neues einzulassen. Dazu müssen Planungsprozesse Rahmenbedingungen bieten, die Menschen Lust machen, sich für ihre Stadt bzw. ihre Gemeinde zu engagieren und sich an Prozessen zu beteiligen.

Der Raumplanung muss es in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Fachgebieten, der Politik und den Menschen vor Ort gelingen, lokale Strukturen und regionale Kreisläufe zu stärken. Zudem geht es darum, den Boden- und Ressourcenverbrauch zu minimieren, die baulich räumlichen Voraussetzungen für die bevorstehende Mobilitätswende zu schaffen und nicht zuletzt die notwendigen Anpassungsmaßnahmen für die bereits absehbaren Folgen eines veränderten Klimas zu treffen.

Neben der grundsätzlich langfristig ausgerichteten kommunalen Entwicklungsplanung sind vielfach Antworten auf die zunehmende Geschwindigkeit zu finden, mit denen Vorhaben und Projekte abgewickelt und vorangetrieben werden (müssen). Denn Abweichungen vom ursprünglichen Plan stellen auch in der Raumplanung heute weniger die Ausnahme als die Regel dar. Ein möglicher Weg mit dieser Herausforderung umzugehen findet sich mitunter im Einsatz agiler Methoden, welche ursprünglich aus dem Bereich der Softwareentwicklung kommen. Diese haben in den letzten Jahren auch im unternehmerischen Bereich erfolgreich Eingang und Anwendung gefunden. Ansätze aus diesen neuartig anmutenden Methoden wie Scrum, Design Thinking & Co können im langfristig geprägten entwicklungsplanerischen Denken und Handeln einen Beitrag zur Wahrung der oftmals fehlenden Agilität liefern.

Umdenken und anpassen

Mit diesen neuen Tools und mit bereits bewährten Beteiligungsmethoden steht uns ein umfangreiches Set an Werkzeugen zur Verfügung. Ziel dabei ist es, Planungsprozesse als Lern- und Veränderungsprozesse zu gestalten und ein in der Raumplanung bisher wenig erschlossenes Potenzial – das der Zivilgesellschaft – zu nützen.

Das Handeln eines jeden Einzelnen ist wichtig. Vielleicht gelingt es dann, angesichts der gegenwärtigen und künftig absehbaren Krisen, ein Umdenken zu bewirken. Und vielleicht passiert dann das, was Menschen ohnehin hervorragend können: sich an neue Herausforderungen und Umweltbedingungen anzupassen.

DI Dr. Werner Tschirk, Büro AIR Kommunal- und Regionalplanung GmbH und TU Wien, Institut für Raumplanung


[1] Zum Beispiel: derStandard: „Das Land wird hässlich“, Beitrag von Coudenhove-Kalergi, 14. Mai 2020; Addendum: „Widmungspläne: Millionenschwer und undurchsichtig“, 20. Januar 2020; Wiener Zeitung: „Fruchtbarer Boden darf nicht verbaut werden“, Interview mit EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski vom 21. Januar 2020; etc.

[2] 24. Sitzung des Nationalrates, 22.04.2020