Das Problem der hochverarbeiteten Lebensmittel aus der Lebensmittelindustrie – und die Fehler des Gesundheitssystems

Haben Sie schon einmal die ZDF-Sendung mit Sebastian Lege gesehen, in der er die Tricks von Fast-Food-Ketten und Lebensmittelkonzernen aufdeckt? https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/besseresser-food-stories-100.html

Oder haben Sie schon einmal auf der Internet-Plattform Foodwatch nachgelesen, welche Inhaltsstoffe in diversen Fertigprodukten enthalten sind? https://newsletter.foodwatch.de/

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie viele Zusatzstoffe, die mehrheitlich nicht als gesund zu betrachten sind, Sie über hochverarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen? Chris van Tulleken hat in seinem neuesten Buch „Gefährlich lecker“ aufgedeckt, wie uns die Lebensmittelindustrie manipuliert, damit wir all die ungesunden Dinge essen, die zu Adipositas und noch Schlimmerem führen können?

Haben Sie sich noch nie gefragt, warum derart ungesunde Lebensmittel überhaupt in den Regalen stehen (dürfen) und warum der Staat nichts dagegen unternimmt?

Zu Beginn einige Zitate: „In Industrieländern … nimmt jeder Einzelne im Durchschnitt acht Kilogramm Lebensmittelzusatzstoffe zu sich“ .. „Wir nutzen immer weniger rohe Zutaten, vielmehr wird ein stetig steigender Anteil unserer Nahrung industriell zubereitet und verarbeitet.

Dass Werbung für Lebensmittel, insbesondere für Junkfood, Kinder dazu verführt, mehr zu essen und die Kaufwünsche beeinflusst, wurde in Studien nachgewiesen.

Manche der „hochverarbeiteten Lebensmittel“ (HVL) erzeugen bei mehr Menschen in kürzerer Zeit eine höhere Abhängigkeit als eine ganze Riehe der traditionellen suchterzeugenden Drogen! So etwa verkauft der Coca-Cola „Konzern .. aggressiv Getränke, die bei übermäßigem Konsum Kinder und Erwachsene schädigen“  weshalb „Gesundheitspolitiker Coca-Cola mit Misstrauen begegnen sollten“, nicht aber mit einem Konzern wie diesem zusammenarbeiten! .. so Chris van Tulleken.

Lebensmittelchemie:  Verantwortung, Missbrauch und Politik

Mitunter kann man den Eindruck gewinnen, dass Lebensmittel-Techniker und -Chemiker den Menschen feindlich gesinnt sind, besonders dann, wenn man sich die Praktiken in der Lebensmittelindustrie vor Augen führt, bei der die meisten dieses Berufsstandes beschäftigt sind.

Lebensmittelchemie ist die Lehre von der Analyse in der Be- und Verarbeitung von Lebensmitteln, umfasst also Nahrungsmittel, Getränke, Trinkwasser und Stoffe, die dem Lebensmittel bei der Herstellung oder Verarbeitung gezielt zugesetzt werden. Lebensmittelchemiker befassen sich mit der Zusammensetzung von Lebensmitteln und ihrer Inhaltsstoffe, deren Veränderung bei Lagerung und Verarbeitung sowie mit Analysemethoden zur Überprüfung der Reinheit, Qualität, Frische usw. Sie beschäftigen sich auch mit den zahlreichen Zusatzstoffen (Farben, Konservierungsmittel u.ä.), ebenso mit Lebensmittelverpackungen sowie der Verträglichkeit und Ungefährlichkeit verschiedener Konsum- und Gebrauchsgegenstände (z.B. Spielwaren, Farben, Textilien). Lebensmittelchemiker sind dementsprechend Experten in einer speziellen Disziplin der Chemie, die in erster Linie dem Schutz des Verbrauchers verpflichtet ist – oder sein sollte. Lebensmittelchemie ist von der Lebensmitteltechnologie zu unterscheiden, die sich mit technischen Verfahren der Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln befasst.

Praxis und Politik

Die Anwendung der Lebensmittelchemie ist heute weitgehend gesetzlich geregelt, etwa durch die EU-Verordnungen EG Nr. 1331 bis 1334/2008, die bestehenden Rechtsvorschriften in Bezug auf Lebensmittelzusatzstoffe, Aromen und Enzyme auf EU-Gemeinschaftsebene harmonisiert. Sie regelt das Genehmigungsverfahren für Lebensmittelzusatzstoffe und die europäische Liste der Lebensmittelzusatzstoffe wie auch deren Verwendungsbedingungen, die wiederum in der Verordnung (EU) Nr. 1129/2011 veröffentlicht wurde. (Inwieweit hier der Schutz der Verbraucher – s.o. – berücksichtigt wird, ist anzuzweifeln)

Damit Lebensmittelzusatzstoffe EU-weit zugelassen werden, müssen sie drei Bedingungen erfüllen: sie müssen gesundheitlich „unbedenklich“ sein, technologisch „notwendig“ sein und dürfen die Konsumenten nicht täuschen. Ob ein Lebensmittel einen wirksamen Zusatzstoff enthält, erkennt man bei verpackten Lebensmitteln durch die Angabe in der Zutatenliste. Dort muss der Zusatzstoff als E-Nummer oder mit seiner speziellen Bezeichnung aufgeführt sein. Womit der Kern der Problematik getroffen ist: Die Frage der gesundheitlichen Unbedenklichkeit, der technologischen Notwendigkeit und der möglichen Täuschung der Konsumenten ist genau jene, die nicht nach objektiven Kriterien beantwortet wird, viel eher schon nach politischen Gesichtspunkten. Weil nämlich eine endgültige Entscheidung über die Zulassung eines Zusatzstoffes erst erfolgen kann, wenn die EFSA (Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit) ihre Stellungnahme veröffentlicht.  Ein interessanter Link dazu:

https://lobbypedia.de/wiki/Europ%C3%A4ische_Beh%C3%B6rde_f%C3%BCr_Lebensmittelsicherheit

In Österreich liegt seit 2002 die Umsetzung der EU-Verordnungen weitgehend in den Händen der AGES – der Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH, einem Unternehmen der Republik Österreich. Die AGES unterstützt die Bundesministerien „in Fragen der Öffentlichen Gesundheit, Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit, Arzneimittelsicherheit, Ernährungssicherung und des Verbraucherschutzes entlang der Nahrungskette fachlich und unabhängig mit wissenschaftlichen Expertisen (Aufgaben gemäß § 8 Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz – GESG).“ Der hier vorgegebene Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie die Sicherheit und Qualität der Ernährung und der Schutz der Verbraucher vor Täuschung ist jedoch, wie mehrfach belegt, ein sehr zweifelhafter, wie viele unabhängige Gutachten, Studien und die Praxis beweisen. Tatsache ist auch, dass, ist ein Stoff erst einmal erlaubt, es in der Regel sehr schwierig ist, dessen Verwendung wieder einzuschränken oder ihn gar zu verbieten. In der Praxis dauert es oft Jahre, bis der Gesetzgeber auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse reagiert und als Konsequenz die Verwendung solcher Substanzen untersagt. Und was oder wer hindert den Staat daran, strengere Kriterien für die Zulassungen zum Verkauf zu erlassen?

E-Nummern, Bedeutungen und Wirkungen

Wissen Sie, was hinter der E-Nummer 951 steckt? So ist der Zusatzstoff – einer von Hunderten – auf den Lebensmittelverpackungen zu lesen. Es ist der künstliche Süßstoff Aspardam, der z.B. vielen Getränken zugesetzt wird. Alleine bei Farbstoffen, deren gesundheitliche Wirkung oftmals wissenschaftlich negativ beurteilt wird, gibt es über 30!  Seit Juli 2011 besteht z.B. eine Kennzeichnungspflicht für Azofarbstoffe (eine Gruppe synthetischer Farbstoffe). Produkte mit diesen Farbstoffen müssen den Hinweis „Kann die Aufmerksamkeit von Kindern beeinträchtigen“ tragen.

Die Zusatzstoffe werden nach ihrer  hauptsächlichen Funktion im Lebensmittel eingeteilt, also als Antioxidationsmittel, Backtriebmittel, Emulgatoren, Farbstoffe, Festigungsmittel, Füllstoffe, Geliermittel, Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe, Mehlbehandlungsmittel, modifizierte Stärken, Säuerungsmittel …. bis hin zu Treibgasen, Überzugsmittel und Verdickungsmittel. Eine schier endlose Liste von Stoffen, deren Bedeutung dem Konsumenten in jeder Hinsicht unklar bleibt. So spielen Aromastoffe in der Ernährung eine wichtige Rolle, da man mittels Aromen das Ernährungsverhalten wesentlich beeinflussen kann. EU-weit sind rund 2.500 Aromastoffe zulässig! Da ist das künstliche Erdbeeraroma, das etwa in manchen Joghurtbechern zu finden ist, nur ein „komisches“ Beispiel. Und für all das sind Lebensmittelchemiker verantwortlich?! Ja, zumindest sachlich.. Egal ob sie für die Lebensmittelindustrie oder für eine der zuständigen Behörden arbeiten.

Der Bio-Schmäh

Auch sogenannte „Bio-Produkte“ sind meist keine solchen, weil auch hier – laut EU–Ökoverordnung – Zusatzstoffe erlaubt sind. Darunter sind auch einige problematische Substanzen, beispielsweise das umstrittene Nitritpökelsalz, das häufig in Fleischprodukten eingesetzt wird. Nitrit gilt als problematisch, weil sich daraus im menschlichen Magen krebserregende Nitrosamine bilden können. Zugelassen ist auch das umstrittene Carrageen (E 407). Das Verdickungsmittel wird häufig  Milchprodukten zugesetzt, um eine Aufrahmung zu vermeiden. Farbstoffe, Süßstoffe, Stabilisatoren und Geschmacksverstärker sind hier jedoch vollständig verboten. Darüber hinaus sind Lebensmittelzusatzstoffe in Bioprodukten nur in jenen Fällen erlaubt, in denen die Produkte ohne die betreffenden Stoffe weder hergestellt noch haltbar gemacht werden können.  Doch es bleiben auch Schwachstellen – und die sorgen dafür, dass „Bio“ nicht immer das ist, was sich die Verbraucher unter dieser Bezeichnung vorstellen. Eine Apfel-Birnen-Limonade, in der weder Apfel- noch Birnensaft drin ist und von deren Zutaten gerade einmal der Zucker aus ökologischem Anbau stammt. Eine Tomate aus Südspanien, die nicht nur weite Transportwege bis in einen unserer Supermärkte hinter sich hat, sondern die aus einer so trockenen Region stammt, dass erst der Einsatz von Unmengen Wasser Landwirtschaft überhaupt möglich macht. Wenig natürlich bzw. wenig ökologisch sind diese Produkte (von den Arbeitsbedingungen abgesehen) – doch Limonade wie Tomate tragen das staatliche Bio-Siegel. Möglich macht es die europäische Öko-Verordnung.

Wirtschaftlicher Druck und moderne Produkte

Lebensmittel-chemiker und –techniker haben, wie nur ansatzweise beschrieben, einen sehr großen Einfluss auf  unsere Ernährung und unsere Gesundheit. Vor allem dann aber, wenn der wirtschaftliche Erfolg und geschäftliche Interessen die Überhand gewinnen, wird die Lebensmittelchemie zum Verführer oder gar zum Fälscher, wie man z.B. an der Tätigkeit der „Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission“ erkennen kann, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit Produktbezeichnungen festlegt, durch die Verbraucherinnen und Verbraucher regelmäßig und gezielt in die Irre geführt werden – in diesem wenig bekannten Gremium sitzt die Lebensmittelindustrie mit am Tisch. Und die Auswirkungen sind unübersehbar – wie auch z.B. „Foodwatch“ immer wieder anprangert: Der Anteil  übergewichtiger Jugendlicher erhöht sich laufend, der fettleibiger Kinder noch stärker. Ursache ist vor allem eine falsche Ernährungsweise, die durch „designte“ Lebensmittel zumindest mitverursacht werden. Als Beispiele gelten auch Acrylamid, das etwa in Lebkuchen, Chips, Kaffee, Pommes frites oder Frühstückscerealien enthalten ist und das als krebserregend und erbgutschädigend eingeschätzt wird, das oft zugesetzte Palmöl oder „Energy-Dinks“, die nicht nur wegen des hohen Zuckergehalts als nicht gesund einzustufen sind. Zu erwähnen sind hier auch Rückstände von Pflanzenschutz-Spritzmitteln, die zwar von den Lebensmittelchemikern nicht beeinflusst aber konstatiert werden müssen. 

Technik

Zusätzliche Wirkung auf Lebensmittel über auch Lebensmitteltechniker aus, die  nicht nur die Anlagen und Maschinen der industriellen Lebensmittelverarbeitung und Lebensmittelherstellung bedienen und überwachen, sie sorgen auch für das ständige „Überwachen und Sicherstellen der Produktqualität“ und das Durchführen von Maßnahmen zur „Qualitätssicherung“. Lebensmitteltechniker sind aber auch für die Roh-, Zusatz- und Hilfsstoffe zuständig, hinter der die Einhaltung einschlägiger Sicherheitsvorschriften, Hygienevorschriften, Normen und Umweltstandards steht. Dazu gehört auch die Verpackung und Abfüllung von Lebensmitteln, die wiederum eigene Probleme mit sich bringen – siehe Weichmacher in Plastikverpackungen usw. 

Fazit

Die Technisierung in der Lebensmittelindustrie schreitet rasant fort. Aber es liegt neben der Politik auch an ihr, der Lebensmittel-Industrielobby Grenzen zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen.

„Nirgendwo in der Welt findet sich auf einer Limonade ein Warnhinweis zu den Risiken von Zahnerkrankungen und vorzeitigen Tod! Ich sehe keinen Grund, weshalb Coca-Cola, Nestlé, Pepsi und all die anderen Anbieter von zuckerhaltigen Getränken (oder irgendeinem anderen Produkt mit hohem Zuckerzusatz) nicht dazu verpflichtet werden könnten, auf den Verpackungen.. einen Warnhinweis anzubringen.“  zit. n. C. v. Tulleken

Ich erwarte mir von einem Gesundheitsministerium, dass Missstände der beschriebenen Art behoben werden und dass die Gesundheit der Bürger deutlich mehr und besser geschützt wird, aber auch, dass die Möglichkeiten der entsprechenden Industrie – auch gegen die von der EU eingeräumten Produktionsmethoden – besser kontrolliert und beschränkt werden. Hier wäre auch eine intensivere Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium zu suchen, etwa was den Einsatz von durchaus oft sehr gesundheitsgefährdeten Chemikalien in der Landwirtschaft und Verpackungen betrifft!

Infos über die Bewertung einzelner E-Nummern auf: www.marktcheck.at

In dieser Produktdatenbank  sind die einzelnen Lebensmittelzusatzstoffe erklärt und bewertet. https://de.wikipedia.org/wiki/Lebensmittelzusatzstoff