Eine – nicht vollständige – Bestandsaufnahme: der Schmäh, das Augenzwinkern, ein immer vorhandenes, gewisses Misstrauen, die Mischung aus kleinkarierter Eitelkeit, traditionellem Konservativismus, katholischer Obrigkeitshörigkeit, nörglerischer Rückständigkeit, mangelnder Selbstkritik(-fähigkeit) und kultureller Selbstüberschätzung. Ausnahmen sind überaus selten
Was ist Österreich? Wo steht es als Staat, wie sehen die Bewohner sich selbst und die Welt? Das ist nicht leicht zu beantworten, zumal die heterogene Bevölkerung trotz großer Unterschiede innerhalb Österreichs doch viele Gemeinsamkeiten hat. Sicher ist jedoch, dass sich Österreich – nicht erst seit dem EU-Beitritt – von einem ehemals selbstbewussten und dabei vielfältigen Vielvölker-Staat über einen erzkonservativen, klerikal-faschistischen, dann nationalsozialistischen Staat zu einem heute nahezu bedeutungslosen Teil eines Europa entwickelt hat, das nicht einmal mehr große Persönlichkeiten hervorbringen kann. Die Vielfalt ist einer gewissen Einfalt gewichen, Weltoffenheit wurde von Engstirnigkeit abgelöst, die sich auch in den politischen Parteien spiegelt. Freiheit ist nur mehr ein inhaltsleerer Begriff, der sich in kleinlicher Selbstüberhöhung und Scheinheiligkeit erschöpft.
Österreich steht in seiner Entwicklung nicht alleine, nein, denn der „technische Fortschritt“ scheint sich zum Alibi dafür zu entwickeln, das Denken Anderen oder Anderem zu überlassen, wie auch das Lesen von Büchern überflüssig zu werden droht, ist es doch suspekt, sich anderen Einflüssen auszusetzen. Die Gleichschaltung geschieht über den Konsum von politisch weitgehend uniformen, auch elektronischen Medien. Der Versuch selbstständigen Denkens, das Ausbrechen aus vorgegebenen Mustern wird schon als Beginn eines Widerstands gewertet, erzeugt bei kontrollierenden Systemen die Tendenz, ausgewählte Informationen selbst so zu gestalten, dass man bald glauben möchte, was man selbst als Nachricht konstruiert in die Welt gesetzt hat. So stellt sich das Wesen der „liberalen“ Demokratie selbst dar, die bewahrt werden muss, indem Feindbilder geschaffen, Werte hochgehalten werden, die der Erhaltung der „Gemeinschaft“ dienen. Individuelle Verantwortung wird gegen Bevormundung ausgetauscht. Aber gerade in Österreich scheint ein gewisser Rest typisch österreichischer Starrsinnigkeit auch einen begrenzten Individualismus zu festigen – unbewusst?
„Das unbewusste Unbehagen der Menschen ist angesichts der politischen Entwicklung durchaus zu verstehen. Die Umverteilung von unten nach oben findet hurtig statt, die Sicherheit nimmt ab, der Wohlstand als Ersatzdroge ist fremdfinanziert, die geistige Manipulation und Unterdrückung lässt Orwell zum „Lercherl..“ verkommen und die globalisierte Vernichtung unserer Welt wird mit gezieltem Marketing betrieben. Und da sollten die Menschen nicht „verdrossen“ sein?“
Dieser Kommentar wurde schon 2006 von mir verfasst – und es hat sich nichts zum Besseren verändert!
Die Vergangenheit lebt –– als Ausdruck der typisch österreichischen Mentalität
In Österreich herrscht ein – falsches – Verständnis von Meinungsfreiheit, das insbesondere daraus entstanden ist, dass hierzulande der Druck gesellschaftlicher Normierung so stark ist, dass Objektivität einfach negiert werden muss – ob jahrhundertelange k.u.k Obrigkeitserziehung oder katholische Denksperre, „man“ darf dieses oder jenes „Falsche“ einfach nicht aussprechen oder schreiben. Ehrlichkeit oder objektive Betrachtung bzw. Darstellung einer persönlichen Sicht ist unerwünscht. Der „Herr Karl“ existiert als Gesellschaftsnorm, wie man auch in der praktizierten österreichischen Politik tagtäglich konstatieren kann. Und „..die meiste Desinformation, der Menschen direkt ausgesetzt sind, sind Lügen oder Verdrehungen durch politische Eliten, die diese entweder direkt oder über traditionelle Medien verbreiten. Das ist aber nicht primär ein Problem der Digitalisierung, sondern ein Problem des Versagens von politischen Diskursen, der etablierten Gesellschaft und Institutionen“, sagt Politikwissenschaftler Jungherr. Und genauso agieren die Österreichischen Parteien.
Die tiefliegende Verunsicherung der österreichischen Bevölkerung wird nicht nur von manchen Parteien zur Stilisierung eines Protests genützt, sie wird auch von angepassten Medien befeuert, deren Redakteure sich hinter ideologischen „Blattlinien“ und Mainstreamvorgaben „westlicher“ Politik verstecken (müssen?).
In Österreich kann man (auch) in Bezug auf Koalitionen spätestens seit 2007 nur mehr fassungslos sein, weniger über die Ressortverteilung, viel mehr über die inhaltliche Leere, die keine Änderung der neoliberal-(erz)konservativen Grundhaltung gebracht hat. Wesentliche Punkte, wie etwa eine richtige Demokratisierung, die dringend nötige Steuergerechtigkeit, eine kritische Systemhinterfragung einschließlich einer pointierten und vor allem neutralen Außenpolitik, Forderungen an die EU und dgl. werden nicht einmal erwähnt und die soziale Komponente wurde stark verwässert. Die Zeche zahlen einmal mehr die Arbeitnehmer, die Klein- und Mittelbetriebe, die sozial Schwachen und die Alten. Es ist deprimierend!
Problemfeld Wirtschaft
Die Ausrichtung der Politik an wirtschaftlichen Aspekten, wie sie etwa die EU oft „gesetzlich“ vorgibt, erzeugt einen Druck, der der aktuellen österreichischen Mentalität eigentlich kaum widerspricht, weil man hier ohnehin eher an den Kompromiss glaubt, jenen, der gleichsam wie eine Zwischenlösung alle faktischen Probleme umgeht, der nie auf den Kern ein-geht bzw. ihn um-geht. Und so wird auch mit Begriffen, wie auch jenem der „Freiheit“ umgegangen, der Sinn verfälscht oder umgedeutet. Wie auch eine liberale Wirtschaft autoritäre Politik braucht, wobei die wirtschaftsliberalen Eliten nicht nur in Österreich die politische Schranken für sich selbst schon immer nur dann gut geheißen haben, wenn diese für sie von Vorteil sind. Was die Normalverbraucher (also alle Lohnabhängigen) zu bloßen Erfüllungsgehilfen macht, auch wenn die „Freiheit“ über Wahlversprechungen der Parteien propagiert wird, jedoch nur die Freiheit für das Kapital gemeint ist.
So etwa sind Exportüberschüsse ein Problem – und zwar für Arbeitnehmer! Denn die Gewinne landen nur bei wenigen Wohlhabenden. „Doch das Problem einer naturgemäß-chronisch schwachen Inlandsnachfrage und hoher Abhängigkeit von Exporten wird von Unternehmenslenkern, Medien und Politikern nicht nur selten thematisiert, es wird sogar regelmäßig als Tugend dargestellt. Hier der sparsame, fleißige Österreicher (Deutsche, usw.), dort die Shop-until-you-drop-Amerikaner mit ihren privaten und öffentlichen Schuldenbergen. Wir, die Journalisten, sind mitverantwortlich. „Gerne stellen wir Handel als einen Wettbewerb zwischen Nationen dar und sprechen wie jetzt von “Handelskriegen”. Exportüberschüsse gelten dabei als Beweis wirtschaftlicher Überlegenheit.“ (zit.n. Zeit Online). Welch ein Blödsinn! Das Ziel sollte vielmehr in jeglicher Autarkie liegen, in Unabhängigkeit, wirtschaftlich wie politisch!
Seymour Hersh als einer der bedeutendsten investigativen Journalisten der westlichen Welt stellt in Zusammenhang mit der “Kultur” der neuen amerikanischen Führungselite fest, dass “Null Empathie, null Scham und ein langjähriges Gefühl der Anspruchsberechtigung, dass Gesetze, Normen und Standards für sie nicht gelten.” (©: Seniora.org) Ähnlich wäre auch die österreichische Politik zu beurteilen, insbesondere jene seit der Schüssel-Kanzlerschaft. Die sogenannte „liberale Demokratie“, die auch in Österreich derart pervertiert wird, ist im Sinne der griechischen Bedeutung dieser Bezeichnung weder demokratisch, noch liberal was die soziale Komponente betrifft, da die ethische fehlt.
Kurzsichtige und kurzfristige Vorteile bestimmen das Verhalten als Mitglied der EU, was leider nur wenigen Begünstigten zugutekommt, die Versprechungen, die zum Beitritt geführt haben, sind alle nicht gehalten worden – geblieben sind die Nachteile.
„Neutrales Österreich“?
Die systemimmanente (Kompromiss-)Feigheit zieht sich durch nahezu alle Bereiche, politisch wie individuell, man schämt sich fast, aus der Reihe zu tanzen, „anders“ zu denken oder sich darzustellen. Man ist überall „dabei“, allerdings unter Vorbehalt, was jedoch nicht auf Erkenntnis beruht oder gar auf Fakten. Dies ist besonders auffällig, wenn es darum geht, Stellung zu beziehen, eine fundierte Meinung zu vertreten, wie man es auch bei der Auslegung der verfassungsrechtlich definierten Neutralität beobachten kann. „Die Neutralität war der Geburtshelfer der Zweiten Österreichischen Republik. Aber anstatt das staatspolitische Kind zu fördern und zu schützen, betrieb Österreich mit ihr recht bald eine riskante Schaukelpolitik.“ (zit. n. Erwin Riess) Das schließt den EU-Beitritt ebenso ein wie die Rolle Österreichs beim Zerfall des vormaligen Jugoslawien oder während des Kosovo-Kriegs, in Hinblick auf den Ukrainekonflikt oder den in Nahost sowieso! Eine selbstbewusste Neutralität, die faktenbasierte Politik, die Österreich unter Kreisky betrieb, wäre der richtige Weg, ist aber Vergangenheit. Leider!
Die aktuelle Haltung entspricht der europäischen Selbst-wahrnehmung und -darstellung, die weit in die Geschichte zurückreicht: Die „Entdecker“ der Welt kamen, um zu morden, zu plündern und um zu unterjochen. Sie empfanden sich als Vollstrecker göttlichen Willens wobei der ehemalige Vielvölkerstaat glücklicherweise sogar dafür zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. In einer zunehmend säkularer werdenden westlichen Welt, ist es die Monstranz der sogenannten „liberalen Demokratie“, die jede Verantwortung leugnet oder Schuld verdrängt. Die selbsterzeugte Norm – gesellschaftlich-religiös oder politisch – gilt als Maßstab, wird nicht hinterfragt und nahezu vollkommen kritiklos hingenommen, ja sogar gesetzlich festgeschrieben und geschützt, was jedoch Ungleichheit wie Vorurteile (auch Privilegien und Denkverbote) ebenso einschließt. Aber diese „Wertegemeinschaft“ wird nicht hinterfragt, nicht einmal teilweise.
Österreich und die Welt
Dass manche Österreicher und –innen dein eigenen Staat quasi als „Nabel der Welt“ sehen, resultiert möglicherweise aus der ehemals wichtigen Rolle der K&K-Monarchie, einem Vielvölkerstaat mit feudalistischem Hintergrund, dem oft noch immer gehuldigt wird.
Die Realitätsverweigerung weiter Kreise der Bevölkerung gleicht einem Verdrängungsmechanismus, der politisch dumme Faulheit kompensiert, die jedoch anfällig für einfältige Rezepte macht – Traditionen sind wichtiger als Fakten. Dies gilt für die Beurteilung weltpolitischer Tatsachen und die Akzeptanz vorgegebener Meinung gleichermaßen. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich die heimische Politik ideologisch derart leicht beeinflussen lässt und nur wenig von Althergebrachtem und Tradiertem abweicht. Österreich ist zum Mitläufer geworden, zum Jasager und Netto-Zahler! Wo bleibt die kritische Distanz, das urösterreichische Misstrauen gegenüber den Mächtigen? Wo bleibt der Mut „Davids“ gegen „Goliath“?
Ohne auf weltpolitische Problemfelder wie Nahost, NATO, Ukraine oder dergleichen wirklich einzugehen – weil die Mehrzahl der österreichischen Medien und Politiker Mainstream-gesteuert „westliche“ Narrative nachplappern und zu ideologisiert sind, sich weltweit zu informieren – kann man sich nur mehr an politische Leitfiguren wie Bruno Kreisky oder Helmut Schmidt erinnern und wehmütig alten Zeiten politischen Selbstbewusstseins nachtrauern. Und so bewegt sich Österreich politisch und gesellschaftlich auf dem Pfad der bedingungslosen Anpassung und Selbstaufgabe!
Peinlich, ja angesichts der politischen Polarisierung der Welt vielleicht sogar gefährlich!?
Und so schließe ich mit einem Zitat des Journalisten Stefano di Lorenzo, der feststellte: „Das Ideal des Friedens und einer Weltordnung der harmonischen Entwicklung wird regelmäßig ins Lächerliche gezogen, und die derzeitige westliche Superelite betrachtet die geopolitischen Ereignisse als (ertragreiches) Nullsummenspiel. Wir wissen nicht, wer ein solch riskantes Spiel gewinnen wird, aber wir wissen mit Sicherheit, wer verliert: wir alle, die wir als europäische Bürger in der Hoffnung aufgewachsen sind, in Frieden zu leben …“ Man kann nur hoffen, dass sich Österreich alter Tugenden besinnt, alter Toleranz und Weltoffenheit, die viele große Persönlichkeiten hervorgebracht haben.
Ob wir das schaffen?